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Seele aus der Balance

Erforschung psychischer Störungen
Broschüre des Bundesministeriums für Bildung,Forschung und Wissenschaft seele_aus_der_balance

BEITRÄGE DES PSYCHOSE NETZWERKS, EINES DISKUSSIONSZIRKELS PSYCHOSEERFAHRENER

EINE PHANTASIEREISE ZUM INNEREN RATGEBER/HEILER

HIRNFORSCHUNG   WIE SICH DIE SEELE DAS GEHIRN BAUT     DIE BIOLOGIE GIBT DER PSYCHOTHERAPIE EINE ZWEITE CHANCE 

ES GIBT AUCH SINNVOLLE DEPRESSIONEN
 
 
Phantasiereise zum eigenen Inneren Heiler (Intuition)

 Setzen oder legen Sie sich bequem hin. Achten Sie darauf, daß Ihre Wirbelsäule gerade ist. Nehmen Sie eine Haltung ein, in der Ihr Körper sich tief entspannen kann . grafik.

Atmen Sie tief durch. Beginnen Sie beim Ausatmen Ihren Körper zu entspannen. Schließen Sie die Augen . grafik. Atmen Sie wieder tief durch, und beim Ausatmen entspannen Sie Ihren Körper noch etwas mehr . grafik. Atmen Sie wieder tief durch. Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, daß Sie Ihren Körper so vollständig entspannen, wie es Ihnen möglich ist . grafik. Wenn es irgendwelche Stellen in Ihrem Körper gibt, die sich noch hart oder verspannt anfühlen, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf diese Stellen, atmen Sie in sie hinein. Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, daß die Anspannung oder die überschüssige Energie sich löst und abfließt, so daß sich Ihr ganzer Körper völlig entspannt anfühlt . grafik.

Stellen Sie sich vor, daß die Lebenskraft, die Lebensenergie frei und ungehindert durch Ihren ganzen Körper strömt. Spüren Sie, wie sie jede Zelle Ihres Körpers nährt, das Alte, das Sie nicht länger brauchen, auflöst und es durch neue, vitale Energie und Lebendigkeit ersetzt . grafik.

Atmen Sie jetzt erneut tief durch, und entspannen Sie mit dem Ausatmen Ihr Bewußtsein . grafik. Lassen Sie alle Probleme, Sorgen und Belastungen, die Sie gegenwärtig beschäftigen, einfach los für eine Weile. Sie können sich diesen Dingen wieder zuwenden, wenn es notwendig ist. Doch lösen Sie sich für die nächsten paar Minuten ganz von ihnen . grafik. Lassen Sie Ihr Denken ruhig und langsam werden . grafik. Wenn Ihnen Gedanken durch den Kopf gehen, was unvermeidlich ist, nehmen Sie sie einfach zur Kenntnis, und lassen Sie sie dann los. Konzentrieren Sie sich nicht auf die Gedanken. Lassen Sie jeden Gedanken los, sobald Sie ihn bemerken . grafik.

Stellen Sie sich vor, daß Ihr Bewußtsein sehr friedlich und ruhig wird, wie ein stiller See oder Teich, so friedlich, daß auf der Oberfläche noch nicht einmal ein Kräuseln zu sehen ist . grafik.

Atmen Sie erneut tief durch, und stellen Sie sich mit dem Ausatmen vor, daß Ihre Aufmerksamkeit zu einem Ort sehr tief in Ihnen wandert . grafik. Stellen Sie sich dann wieder vor, daß Sie auf dem schönen Pfad durch die Natur wandern und spüren Sie den Frieden und die Schönheit der Natur ringsum . grafik. Während Sie so wandern, fühlen Sie sich allmählich immer entspannter und offener grafik. und wieder kommen Sie in Ihr inneres Heiligtum, das eine Wiese sein kann, ein Berggipfel, eine Stelle im Wald, eine Höhle oder ein Strand wo immer Sie gern sein möchten . grafik.

Vielleicht ist es wieder der gleiche Ort, es kann aber auch ein anderer sein. Gestalten Sie ihn so, wie es Ihnen gefällt. Aber tun Sie dies in dem Bewußtsein, daß es sich um einen sehr friedvollen, schönen und sicheren Ort handelt. Es ist ein sehr privater Ort. Er gehört Ihnen. Niemand kann hierher kommen, wenn Sie es nicht erlauben.

Nehmen Sie sich ein paar Augenblicke Zeit, einfach nur hier zu sein und sich umzuschauen. Werden Sie sich Ihres Heiligtums bewußt, und spüren Sie, wie es ist, dort zu sein . grafik. Gehen Sie umher, spüren Sie die Luft, nehmen Sie die anderen Geschöpfe wahr, die Pflanzen und Tiere . grafik.

Und finden Sie dann eine Stelle in Ihrem Heiligtum, an der Sie sich besonders behaglich und zu Hause fühlen. Wenn Sie wollen, können Sie sich dort hinsetzen . grafik.

Schauen Sie jetzt zurück zum Eingang Ihres Heiligtums. Stellen Sie sich vor, daß Sie die Gegenwart eines sehr weisen Geschöpfes spüren, das gleich eintreten wird. Dieses weise Geschöpf kann ein Mann oder eine Frau sein, ein Kind oder ein Tier. Oder es handelt sich um eine Farbe oder eine ätherische Erscheinung . grafik.

Stellen Sie sich vor oder spüren Sie, wie dieses weise Geschöpf Ihr Heiligtum betritt und sich auf Sie zubewegt . grafik. Sehen oder spüren Sie, wie alt oder wie jung, wie groß oder wie klein es ist grafik. wie dieses weise Geschöpf sich bewegt, oder wie er oder sie gekleidet ist, falls es sich um eine Person handelt . grafik. Vor allem, spüren Sie die Energie dieses weisen Geschöpfes, während es sich Ihnen nähert . grafik.

Begrüßen Sie das Geschöpf auf eine Weise, die Ihnen angemessen erscheint . grafik. Vertrauen Sie Ihren Gefühlen. Erlauben Sie es dem weisen Geschöpf, Sie zu begrüßen und den Kontakt zu Ihnen herzustellen. Sie können den Kontakt durch Worte herstellen oder energetisch, telepathisch, durch Berührung, oder auf eine andere Weise, die sich intuitiv richtig anfühlt. Seien Sie sich bewußt, daß dieses weise Geschöpf gekommen ist, um Ihnen zu dienen und Ihnen auf jede erdenkliche Weise zu helfen . grafik.

Das weise Geschöpf hat vielleicht eine Botschaft für Sie. Fragen Sie es also jetzt, ob es Ihnen etwas zu sagen oder auf eine andere Weise mitzuteilen hat. Und seien Sie dann offen, die Botschaft zu hören oder zu fühlen . grafik. Wenn Sie etwas Bestimmtes brauchen, bitten Sie darum. Ganz gleich, ob es sich um einige weise Worte oder um liebevolle Unterstützung handelt was es auch sein mag, bitten Sie einfach darum . grafik. Und seien Sie offen für die Antwort, die Ihnen dieses weise Geschöpf gibt . grafik.

Gestalten Sie die Zeit mit dem weisen Geschöpf so, wie es sich für Sie gut anfühlt . grafik. Vielleicht möchten Sie schweigen, oder sich mit ihm unterhalten . grafik. Erlauben Sie es sich, sich ganz auf diese Erfahrung einzulassen und sich an ihr zu erfreuen. Und wenn Sie spüren, daß der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist, beenden Sie den Kontakt auf eine Weise, die Ihnen angemessen erscheint . grafik.

Werden Sie sich Ihres Körpers bewußt, so wie er sich jetzt in diesem Moment anfühlt, und werden Sie sich des Raumes bewußt, in dem Sie sich aufhalten . grafik. Wenn Sie sich dazu bereit fühlen, öffnen Sie ganz langsam die Augen und kehren Sie in die Außenwelt zurück . grafik.

Wenn Sie diese Erfahrung weiter ausdehnen möchten, entspannen Sie sich einfach weiter, und setzen Sie die Meditation fort, so lange Sie wünschen.

Wenn Sie möchten, daß das weise Geschöpf bei Ihnen im Heiligtum bleibt, können Sie das veranlassen. Wenn Sie das Gefühl haben, daß das weise Geschöpf das Heiligtum verlassen sollte, wenn Sie die Erfahrung für dieses Mal beenden wollen, verabschieden Sie sich von dem Geschöpf und stellen Sie sich vor, wie es den Pfad hinaufgeht und das Heiligtum verläßt . grafik. Aber seien Sie sich bewußt, daß Sie dieses Heiligtum jederzeit aufsuchen können. Sie können Ihr weises Geschöpf jederzeit bitten, herzukommen und bei Ihnen zu sein. Und Sie können es alles fragen, was Sie wissen wollen, und es jederzeit um die Hilfe, Führung und Liebe bitten, die Sie benötigen . grafik.

Schauen Sie sich jetzt noch einmal in Ihrem Heiligtum um . grafik. Denken Sie daran, daß Sie diesen Ort jederzeit aufsuchen können, indem Sie die Augen schließen, ein paarmal tief durchatmen und sich wünschen, dort zu sein . grafik.

Wenn Sie nach dieser Meditation schlafen möchten, tun Sie das und lassen Sie sich in den Schlaf hinübergleiten . grafik.

Wenn Sie die Meditation beenden wollen, verabschieden Sie sich einstweilen von Ihrem Heiligtum und gehen Sie wieder den Pfad hinauf. Spüren Sie, wie Sie immer lebendiger, energiegeladener und gelassener werden . grafik.


 
 
Beiträge des Psychose Netzwerks (Bundesverband der Psychose-Erfahrenen)

Parallelen zwischen Traum und Psychose als Hilfe zum Psychose-Verständnis.

  Wie läßt sich die eigene Psychose verstehen? Ich hatte das Glück, während meines vierten schizophrenen Schubes 1946 durch das Miterleben der Psychose einer Mitpatientin zu erkennen, daß in der Psychose Inhalte unseres eigenen Unbewußten ins Bewußtsein einbrechen. Aus ihrem nächtlichen Traum heraus geriet sie in eine schwere Psychose. Das Merkwürdigste war für mich, daß sie dabei eine andere, wie französisch klingende Sprache sprach, obwohl sie nie Französisch gelernt hatte. Ich wußte aber von ihr, daß sie aus einer Hugenottenfamilie stammte. Offensichtlich war mit ihrer Psychose dieser von ihren Vorfahren ererbte Sprachrhythmus aufgebrochen, der sie die zweite statt der ersten Silbe im Deutschen betonen ließ. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, daß unsere Psychoseerfahrungen nicht von außen, von Gott oder anderen Mächten "eingegeben" sind, sondern aus uns selber, aus einem Unbewußten in uns, aufbrechen. Ohne aber zu wissen, was dieses Unbewußte sein könnte und was es enthält, konnte ich diese Spur noch nicht weiter verfolgen.

  Erst nach meinem fünften und letzten Schub 1959 fiel mir auf, daß seit dem Aufbruch meiner psychotischen Vorstellungen bereits Monate zuvor meine Nachtträume ausgesetzt hatten. Ich konnte mir das nur so erklären, daß die psychotischen Vorstellungen an die Stelle meiner Nachtträume getreten waren. Sie mußten daher aus der gleichen Quelle wie meine Nachtträume, aus meinem gleichen Unbewußten kommen. Auf diese Spur hatte mich 13 Jahre vorher bereits die französisch klingende Sprache meiner Mitpatientin gebracht. Nun sagte ich mir: Ebensowenig wie Träume "geisteskrank" sind, kann es die psychotische Vorstellung sein. Unsere Krankheit kann nur darin liegen, daß wir unsere psychotischen Vorstellungen für wirklich halten, während wir dies im Traum nur tun, solange wir ihn träumen. Wenn ich die Vorstellungen meiner abgeklungenen Psychose auf der Traumebene verstand, konnten sie ihren Sinn für mich behalten, nur ihre Wirklichkeit nicht. Als Wirklichkeit erschienen sie mir nach der Rückkehr in den Normalzustand nach keinem meiner fünf Schübe mehr. Im nachhinein konnte ich selber nicht verstehen, daß ich so Phantastisches hatte glauben können. Diesmal war es anders: Ich verstand jetzt, daß nicht nur einzelne Symbolhandlungen in der Psychose, sondern ihr gesamtes Erleben dem Traum verwandt ist und wie dieser aus unserem eigenen Unbewußten in unser Bewußtsein aufbricht.

  Dieses Verstehen der Psychose als Aufbruch des eigenen Unbewußten befreite mich von der uns alle schwer belastenden psychiatrischen Bestimmung der Schizophrenie als einer körperlich und erblich verursachten "unheilbaren Geisteskrankheit", wie es damals hieß. Durch ein zunehmendes Psychose- und Selbstverständnis bin ich seither "gesund" geblieben.

  Fragen wir uns, was in der Psychose eigentlich geschieht. In der Regel ist es wohl so, daß ein ihr vorausgegangener Konflikt oder eine Lebenskrise, die wir mit unseren bewußten Kräften nicht lösen konnten, sich in der Psychose in konkrete Vorstellungen verwandeln. Das können beängstigende, aber auch befreiende Vorstellungen sein. Das Entscheidende ist aber, daß das zuvor Ungestaltete oder Ausweglose einer Lebenskrise in unserem Psychoseerleben Gestalt gewinnt. Vielleicht ist das auch der Sinn unserer Nachtträume: Probleme, Emotionen und uns gar nicht bewußte Inhalte unserer Seele im Traum in konkrete Vorstellungen, in real erlebte Situationen bildhaft zu verwandeln, die sie uns zugänglicher machen, in denen wir unsere Phantasien ausleben können, wie wir es auch in unseren Psychosen tun.

  Statt nun aber die in der Psychose Gestalt gewordene Lebenskrise als Chance zu verstehen, sich mit ihr auseinander zu setzen, hat unsere Psychiatrie in der Regel nichts Eiligeres zu tun, als sie medikamentös zu bekämpfen und sie ins Unbewußte, aus dem sie aufbrach, zurückzudrängen, ohne zu fragen und mit den Betroffenen zu überlegen, was die Psychose-Inhalte uns zu sagen haben. Daß Verdrängtes immer wieder aufbricht, ist eine alte Erfahrung.

  Ich machte mir die Mittel klar, die Traum und Psychose anwenden. Zum Beispiel das bildhafte Erleben in Symbolen. Daß die erlebten Symbole und Identifikationen so glaubwürdig für uns sein können wie sie es im normalen Zustand nicht wären, liegt vor allem daran, daß sich in der Psychose das Weltgefühl verändert. Man spürt überall Sinnzusammenhänge, ohne sie erklären zu können. Das ist ein anstrengendes Erleben und läßt uns auch Unmögliches miteinander in Beziehung setzen. Die Psychiatrie nennt das "Beziehungs- und Bedeutungswahn oder Größenwahn".

Ich nannte es "Zentralerleben", weil alle Bereiche des Lebens wie bei einem Fächer von einer gemeinsamen Mitte auszugehen und miteinander verbunden zu sein schienen im Unterschied zur "normalen" Welterfahrung. Das verführt sehr leicht dazu, nicht sich auf das Ganze, sondern das Ganze auf sich zu beziehen. Mit dem Gefühl der Angst kann dies als persönliche Bedrohung erfahren werden und zu Verfolgungsideen führen.

  Psychoseerfahrungen ohne klare Parallelen zum Traum, wie z. B. gehörte Stimmen, können besser verstanden werden, wenn man weiß, daß unsere frühen Vorfahren wahrscheinlich ihre Gedanken hörten, und daß das Stimmenhören eine alte, ursprüngliche Form des Denkens war. Auch das Denken und Vorstellen in Symbolen und Bildern, das in der Psychose aufbrechen kann, gehört zu diesen älteren, sinnenhaften Denkformen, bevor sich das abstrakte Denken entwickelte.

  Wer keine Stimmen hört, wird doch innere Impulse kennen, die die Führung übernehmen. Besonders nach vorausgegangenen anstrengenden Lebenskrisen kann es eine Erleichterung für uns sein, sich diesen inneren Impulsen zu überlassen. Sie können im genaueren Zusammenhang des Ganzen leiten als es der eigene Wille vermag. Ein gewonnenes Verständnis der Psychose und ihrer inneren Sinnzusammenhänge mit der eigenen Lebensgeschichte wird zur Heilung allein nicht genügen, wenn nicht die dynamischen Kräfte, Gefühle und Impulse, durch ihre Einbeziehung in unser Leben daran gehindert werden, sich zu stauen und dadurch in neuen Psychosen aufzubrechen.

  Daß viele Psychosen ähnliche Mittel einsetzen, wie unsere Nachtträume zur Verarbeitung unserer Tageserlebnisse, kann eine Brücke zum Verständnis der Psychose sein, nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Außenstehenden.
 Dorothea Buck
 

Die Psychose als Traum nach einer erhofften Welt.

  Ein Bewußtsein wird von vielen als ein geschlossener Raum ohne Türen und Fenster betrachtet, in dem die Gedanken Schatten an den Wänden sind. Es setzt sich aus allen Inhalten, aus Erfahrung, Vertrauen, Eifersucht, Identität, usw. zusammen. Dies sind Bestandteile, und wenn ich einen Kern erkennen will, muß ich ihm volle Aufmerksamkeit schenken. Eine Erinnerung ist nicht nur in persönlichen Umständen; sie ist verwurzelt in unserem Kulturmuster, in dem auch die Auffassungen, Aktivitäten und verdrängten Inhalte unserer Ahnen enthalten sind.

  Das Freiwerden durch aufgeplatzte Knoten gelöster Bedingungen empfinde ich als erhebend und wunderbar lösend. Das EinsSein überflutet mein Bewußtsein, weil EinsSein Grenzen überschreitet. Die Lebensenergie fließt dann stark, und ich fühle mich wohl. Synchronizitäten und Assoziationen begegnen mir aller Orten. Dabei kann ich das Pulsieren des Kosmos spüren. Vorübergehend fühle ich grenzenlose Liebe, fühle mich eins mit der Natur und sehe alles durchstrahlt von einem goldenen Licht, aber all das läßt in seiner Intensität wieder nach. Die Möglichkeit, Verbindung mit dem pathologisch kollektiven Unbewußten zu erhalten, ist dann groß, was dazu führt, daß eine erhöhte Empfänglichkeit für Zeichensprache entsteht. Wenn diese Energie zurückebbt, erscheinen wieder die alten Begrenzungen. Die alten Probleme scheinen noch frustrierender, weil ich einen Zustand geschaut habe, der bestehen könnte, wenn das Leben frei von ihnen wäre. Ich kann erwachen und irrtümlicherweise glauben, was ich in blitzartiger Ahnung geschaut habe, sei bereits manifestierte Wirklichkeit. Ich hatte dies Erlebnis und denke vielleicht: "Gut, jetzt sind alle meine Probleme gelöst. Alle Möglichkeiten stehen mir offen, ich bin endlich frei und angekommen." Leider wird mir schon bald klar, daß dies erst ein Anfang ist. Ich bin eben noch nicht da. Manchmal erlebe ich große Schwierigkeiten, dieses Fließen von Lebensenergie aufzunehmen. Mein Nervensystem kann verwirrt werden und unter dem Zuviel an dieser Energie zusammenbrechen. Manchmal höre ich aus dem Unbewußten Stimmen oder habe Visionen, die ich nicht deuten kann. Unter Umständen können meine unbewußten Vorstellungen sich organisieren, können eine Selbständigkeit gegenüber dem Bewußten gewinnen, so daß beide Erleben als zwei getrennte Ströme nebeneinander erscheinen. Es kann ein Schub von Lebensenergie in meiner Persönlichkeit neue Formen auslösen. Das Erleben kann zu Empfindungen von Größe führen, die unter Umständen mit ungelösten kleinkindlichen Gedanken über diese Allmacht durcheinandergebracht werden. Zum Beispiel: Der Mittelpunkt eines allumfassenden Planes zu sein. Der Drang zum Erleben dieses grundsätzlichen EinsSein (die Suche nach Liebe) hat seine gefährlichen Seiten. Der Drogen- oder Alkoholrausch kann mir für kurze Zeit die Illusion des EinsSein vermitteln - zumindest führt er dazu, daß ich über meine Grenzen nicht mehr im klaren bin, was mir vielleicht ein Gefühl der Freiheit verschafft.

  Psychosen und Träume sind ein Ursprung zur Heilung. Psychose als eine Befreiung von Bedingungen, als einen Neuanfang, im Selbstfindungs- und Selbstheilungsprozeß zu erfahren, wird als solches nicht verstanden. Stattdessen werden von Psychiatern Diagnosen erfunden, welche mit den Mitteln der Neuroleptika bekämpft werden sollen. Von den Neuroleptika mit ihren schädlichen Nebenwirkungen wird keine Ursache für mein Erleben verändert, aber meine Lebensgefühle abgetötet. Anstatt die Psychose zu erleben und durchzuarbeiten, wird sie chronisch. Die bisherige aus der Organmedizin übernommene Beobachtung meines von der Norm abweichenden Verhaltens und meiner Symptome entwertet mich zu einem beobachteten und behandelten Objekt. Die in der Regel nur medikamentöse Symptomverdrängung zwingt mich dazu, mein Erleben als nur "krank" von mir selber abzuspalten und verunsichert zu bleiben, bis es erneut aufbricht und mein Selbstvertrauen weiter untergräbt. Meine erkrankte Seele hat ebenso wie der körperlich Kranke ein Recht auf Heilung und nicht nur auf eine Symptomverdrängung mit oft irreversiblen Schäden als Nebenwirkungen. Ich fordere eine subjektorientiert-empirische Psychiatrie, die von meiner Erfahrung als Patient und meinem Erleben im Zusammenhang mit meiner Lebensgeschichte ausgeht, die meine Bedürfnisse berücksichtigt und Hilfe zur Verarbeitung meines Erlebens anbietet: z. B. lernen, in Gesprächen darüber zu reflektieren. Einfühlen und Verstehen im Zusammenhang mit Erreichbarkeit, das ist es was mir weiterhilft.

  Diese Initiative möchte dazu beitragen, daß die Psychiatrie öffentlich wird und die Verzerrung in den herrschenden Medien aufhört. Die Verdrängung von Straftaten wie Mißhandlung, Mißbrauch und Verwahrlosung sowie psychische Gewalt durch unsere Angehörigen muß beendet werden, da sie unter anderem oft zu einer Psychiatrisierung führt.
Raimund M.

 

AGENT ORANGE FÜR DIE SEELE

  Der Psychotiker hat derzeit wirklich schlechte Karten. Für die Medizin ist er einfach nur krank, für die Gesellschaft einfach nur verrückt. Meist weiss er selber nicht einmal, was er ist. Damit der Aussenstehende begreifen kann, was Psychose bedeutet, muss sich der Beobachter wie ein Emphat in die Psychose einfühlen. Hierzu eine kleine Performence. Der Psychotiker verliert während und auch nach der akuten Psychose sein gewohntes Weltbild. Er erleidet die absolute Infragestellung seiner Identität. Wahrnehmungen, Gedankenmuster, Emotionen, die ihn sein bisheriges Leben begleitet haben, brechen weg. Dafür bekommt er neue Eindrücke, neue Wahrnehmung, neue Emotionen. Alles neu, alles fremd, alles Alte zählt nicht mehr. Er kann sich nicht mehr auf seine alten, bekannten Strukturen zurückziehen. Das vollzieht sich mit einer solchen Wucht, einer grossen Gewalt, dass er überfordert wird. Dazu massive Angst vor dem Neuen, Unbekannten. Eine grosse Verunsicherung setzt ein. Er ist in dieser Situation ganz alleine! Es ist seine Realität. Und die hat Gewicht. Ich glaube nicht, dass der Psychotiker krank ist. Ich glaube, dass er einer unfreiwilligen Genesis seiner Seele unterzogen wird. Es findet eine Revolution in ihm statt. Die Botschaft lautet: "Stop, so nicht mehr. Ich bin satt. Es ist an der Zeit, die Dinge anders zu sehen."

  Ich denke, langsam ist es an der Zeit, dass die Medizin ihren Elfenbeinturm verlässt und sich einer ihr unangenehmen Diskussion stellt. Was weiss die Medizin über die menschliche Seele? Was weiss die Medizin über die Existenz, die Tiefe, die Facetten und die Entfaltungsmöglichkeiten der menschlichen Seele? Was weiss die Medizin überhaupt über Dinge, die man nicht in Scheiben schneiden und unter das Mikroskop legen kann? Es ist sicher von allen Seiten unumstritten, dass in einer Psychose etwas mit der Seele passiert. Die Seele des Psychotikers tritt in einer akuten Psychose in eine andere Realität ein. Für ihn absolut real. Ich war selber da. In dieser Parallelwelt sammelt er Eindrücke, hat Wahrnehmungen und Emotionen, welche neu, fremdartig und angsteinflössend sind. Früher oder später kehrt er zurück in die allgemeine Realität. In der Regel hat der Psychotiker den Wunsch, sich mit diesen Eindrücken auseinanderzusetzen, diese zu verstehen und in sein Weltbild zu integrieren. Da der Psychotiker auf Wahrnehmungen reagiert, die nur er allein in seiner Realität hatte, stösst er in unserer Realität im Allgemeinen auf Unverständnis. Niemand kann ihn logischerweise nachvollziehen. Warum tut er dies und das? Ohne den entsprechenden Hintergrund kennt niemand die Motive des Psychotikers. Er hat Motive. Ich war dabei.

  Um seine Seele wieder zusammenzuflicken, braucht er alle Hilfe, die er kriegen kann. Einen scharfen Verstand, einen wachen Geist und brauchbare Emotionen. Und er braucht Menschen, Vertrauen und Geleit. Dann hat er eine faire Chance auf Genesung. Die Medizin sieht das offenbar anders. Der Psychotiker ist krank, halluzinatorisch, schizophren, Stoffwechsel im Eimer. Das die Medizin hier in einen Grenzbereich ihrer Diagnostik kommt, ignoriert sie tapfer. Seele, nee, das wolln wir nich. Seele hat etwas mit Mystik zu tun. Seele ist der Medizin suspekt, sie würde sich auf ungesichertes Terrain begeben. Sie spekuliert lieber. Sie weigert sich, zu lernen. Wissenschaft und Mystik berühren sich im Fall der Psychose. Ich möchte ein Beispiel bringen, über die Methodik der Medizin, veraltete und falsche Weltbilder aus Unwissenheit, Ignoranz und Arroganz zu verteidigen. Sterilität ist eine wissenschaftliche Erkenntnis, welche die Medizin irgendwann im späten Mittelalter erkannt hat. Sie wusste vorher nichts von Sterilität. Irgendwann wurde es zum Problem. Unverständliche Todesfälle. Keiner wusste, weshalb Leute starben. Irgendwann fing irgendwer an, darüber nachzudenken. Später gab es empirische Versuche. Das Problem wurde erkannt, der wissenschaftliche Beweis erbracht, das Problem gelöst. In der Zeit zwischen der Anerkennung des Problems und der Lösung des Problems wurde in der Wissenschaft getötet. Es wurde solange getötet, bis allgemein bekannt und anerkannt war: Sterilität ist wichtig. Schätzungsweise hat es mindestens 50 Jahre gedauert und tausende Menschenleben gekostet, bis die Medizin gelernt hat. Das möchte die Medizin nicht hören. Auch heutzutage nicht. Die Medizin hat wenig bis keine Erkenntnisse über die Seele. Sie spekuliert munter darauf los. Ein Feldversuch am lebenden Objekt. Der Psychotiker als Versuchskaninchen. Das ist ungefähr die Situation des Psychotikers in der Gegenwart. Ich kann von der Medizin nichts fordern. Aber ich kann sie bitten: Hört auf, uns zu quälen. Chemische Totschläger nur im äussersten Notfall, so defensiv als irgend möglich. Vernichtet nicht die Seele bei lebendigem Körper. Die moderne Psychiatrie wird sich wohl outen müssen: Erkennt sie die Existenz der Seele an? Wo wohnt sie? Kann sie ihren Sitz wechseln? Wie funktioniert sie? In welche Ordnung ist sie eingebettet? Kann sie sich verändern? Kann sie sterben? Welchen Beitrag leistet sie zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein? Die Medizin fährt ihren Film. Es wäre schön, wenn sie anfangen würde, zu lernen und zu verstehen. Die Medizin ist zu hart. Viel zu hart. Sie beschützt nicht. Sie geleitet nicht. Die Medizin hat niemanden, der sagen kann, was mit dem Psychotiker passiert. Die Medizin hat zu wenig Zeit. Sie ist viel zu weit weg. Das einzige, was die Medizin hat, ist Psychopharmaka und kein Geld für Emphaten, die den Psychotiker erreichen können.
AMOR

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Hirnforschung

   Wie sich die Seele das Gehirn baut        Die Biologie gibt der Psychotherapie eine zweite Chance 
 

Joachim Rogosch 

 Wenn Neurobiologen auf Psychotherapeuten treffen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Neurobiologen erklären, dass das Seelische nur eine elektrische oder chemische Reaktion des Gehirns ist. Oder die Psychotherapeuten behaupten, dass das Eigentliche der Seele nicht in der Materie des Gehirns zu finden sei. Bei den Psychotherapiewochen in Lindau passierte Erstaunliches: Ein Neurobiologe, der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther, erklärte den Psychotherapeuten, dass die Seele die Materie des Gehirns gestaltet.

 Der Einbruch der Neurobiologie in die Psychotherapie ist dramatisch. Hüther sprach von einem Paradigmenwechsel. Das wichtigste - und für die Psychotherapie umwälzende - Ergebnis der neueren Hirnforschung: Das Gehirn ist nicht mit Abschluss der Entwicklungsphase fertig und baut danach nur noch ab, sondern es ist plastisch. Das heißt, es bleibt lebenslang entwicklungsfähig. Die Folge: Diese Entwicklung des Gehirns ist abhängig von der Erfahrung.

 Hüther nannte als Beispiel eine Reihenuntersuchung an Taxifahrern aus London, bei denen man mittels neuer bildgebender Verfahren messen konnte, dass das Zentrum für räumliche Vorstellung, der Hypothalamus, umso größer ist, je länger jemand Taxi fährt. Erleben formt das Gehirn. Hüther in Lindau: "Ich kann das auch erst denken, weil in den letzten zehn Jahren in der Hirnforschung so viel passiert ist."

 Wünsche per Mikroelektrode

 Gemeinhin erforschen Neurobiologen, "wie das Gehirn die Seele macht". Eine zugespitzte Formulierung, wie der Direktor am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, Gerhard Roth, in Lindau einräumte. Aber er nannte eine Fülle von Beispielen, die zeigen, dass die Neurochemie des Zellgeschehens im Gehirn die Grundlage für die Arbeit dieses Organs ist. In Millisekunden tauschen sich Ionen aus, laden und entladen sich Spannungen, die heute exakt und am lebenden Menschen messbar sind.

 Wer die elektrisch oder chemisch ausgelösten Reaktionen kennt, kann sie auch herstellen. "Wir können Wünsche per Mikroelektrode auslösen", sagt der Hirnforscher. Er kann auch zeigen, dass Wünsche längst in unbewussten Regionen des Gehirns entstanden sind, bevor das "Ich" sie ins Bewusstsein übernimmt. Für Roth sind das Aktionspotenziale, die nach Frequenz und Art messbar sind.

 Die Kartierung des Gehirns ist weit fortgeschritten. Man kennt Gesichtererkennungsneuronen und den Sitz der Raumwahrnehmung, man hat verschiedene Bewusstseinszustände lokalisiert. Menschen mit geschädigten Hirnteilen haben Schmerzen, aber "sie tun ihnen nicht weh". Andere haben kein "Gewissen". Für Gerhard Roth ist das natürlich nur eine metaphorische Ausdrucksweise. "Aber der Effekt ist genau dieser: Diese Menschen sind aufgrund der Gehirn-Fehlfunktion nicht sozialisierbar.

 Hüther sieht in Roths Arbeiten "die Pfeiler" für eine Brücke zwischen Neurobiologie und Psychotherapie. Es sind Messungen, nicht Ideen, die zu den neuen Erkenntnissen geführt haben. Die Organisatoren der Lindauer Psychotherapiewochen wittern die Chance, dass ihr Berufszweig durch die naturwissenschaftliche Begründung ihres Tuns an Anerkennung gewinnt, wie Manfred Cierpka, Psychiater aus Heidelberg, betont.

 Der Neurobiologe Hüther hat wenig Scheu davor, über nicht Messbares oder Objektivierbares zu sprechen: Nämlich über die Erfahrung. Also über jenen nicht angeborenen, nicht lernbaren Einflussfaktor, der irgendwie im Gehirn und im ganzen Körper verankert ist. "Wem nichts mehr unter die Haut geht, wer immer cool ist, der kann auch keine Erfahrung mehr machen", sagt Hüther. Umgekehrt stellt er fest, dass Erfahrung tatsächlich unter die Haut geht und dort als Signal Zellen zu verändern vermag. "Das Gehirn ist ständig in Bewegung, baut sich ständig um, entwickelt neue Synapsen an jenen Stellen, die vermehrt genutzt werden."

 Hornhaut für die Seele

 Die Unbefangenheit, über nicht messbare Faktoren zu sprechen, nimmt Hüther aus der Erfahrung mit dem Messbaren. Seit das Dogma vom nicht mehr änderbaren, fertigen Gehirn gefallen ist, öffnet sich eine neue Welt. Wenn Hirnforscher sehen können, wie sich bei Blinden, die Brailleschrift lesen, das Gehirn verändert, ist ein Leugnen des Einflussfaktors Erfahrung sinnlos. So wie der Körper Hornhaut bildet an beanspruchten Stellen, so auch das Gehirn.

 Hüthers Versuchstiere sind die Ratten. Er setzt sie verschiedenen Erfahrungen aus: allein oder gemeinsam, in Enge oder Weite zu leben. Schon hier stellt er Hirnveränderungen fest. "Beim Menschen ist das noch viel dramatischer, weil das menschliche Hirn viel plastischer und anpassungsfähiger ist", erklärte der Forscher.

 Für die Neurobiologen ist das Gehirn das Reaktionsorgan auf Veränderung. Es muss mit Stress fertig werden. Hüther schilderte ein Beispiel: Wird einer plötzlich arbeitslos, so wird in verschiedenen Stufen zuerst im Unbewussten die Amygdala aktiviert, die wiederum auf das limbische System im Gehirn wirkt. Das Gehirn strebt nun danach, aus einem asynchronen Zustand wieder in einen synchronen Zustand zu gelangen.

 Vier Stufen der Synchronisationsmöglichkeiten zählte er auf: Erstens Drogen wie Ecstasy, die den Botenstoff Serotonin ausschütten und damit chemisch wirken. Zweitens Rhythmen, wie Gehen, oder "Rosenkranzbeten, das mantrische Aufsagen von immer Gleichem", sagte Hüther. Drittens Entspannung, wie sie in asiatischer Meditation bewirkt wird. Und schließlich die Bewältigung des Stress auslösenden Faktors.

 Vertrauen, Bindung, Glaube

 Wer ohne Drogen zur Bewältigung seiner Probleme ansetzt, braucht dazu nach Gerald Hüther drei Unterstützungsmittel: Das Vertrauen in eigene Fähigkeiten: die Erfahrung. Das Vertrauen in die Fähigkeiten anderer: die Bindung. Und: das "Vertrauen in vorgestellte Kräfte." Hüther sagt: "Glaube."

 Hat das Gehirn Vertrauen erfahren, dann kommt es in den Flow: Aus einem Problem wird ein gelöstes Problem, mit dem entsprechenden Lustgewinn. Macht es keine Vertrauenserfahrung, gelangt es in einen Teufelskreis: Zu einem Problem kommt die Erfahrung, dass dieses Problem nicht gelöst wurde. Dadurch verschlimmert es sich. Nicht die Lösung des Problems wird so zum Halt im Leben, sondern der Weg vom Problem zur Lösung. "Der Weg ist das Ziel", übersetzt Hüther. Für ihn ist das kein Glaubenssatz, sondern eine neurochemisch gewonnene Erkenntnis aus der Untersuchung von Opiatausschüttungen im Gehirn.

 Die Konsequenzen für die Psychotherapie sind einschneidend. In Lindau wurde Hüther nach Therapiemöglichkeiten für aufmerksamkeitsgestörte Kinder gefragt. Man weiß, dass in diesen Fällen das dopaminergene System unzureichend arbeitet. Folglich versucht man, mittels Psychopharmaka Ausgleich zu schaffen. Die Hirnforscher sehen darin eine eher grobe Methode. "Versuchen Sie mal, mit einem Vorschlaghammer einen Fernseher zu verbessern", antwortete Gerhard Roth auf solche Lösungsvorschläge.

 Hüther präzisiert: Eine Erkrankung des dopaminergenen Systems habe man bislang bei betroffenen Kindern nicht dokumentieren können. Man repariert, was nicht kaputt ist. Dagegen kennt man jetzt einen anderen Einflussfaktor auf die Botenstoffe im Gehirn: Soziale Kontakte. Je fester und je vielfältiger diese ausgeprägt seien, desto stärker sei das dopaminergene System. 

  2001 © Tagesspiegel Online Dienste Verlag GmbH

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 DPA  Meldung vom 31.05.2001                                                                                                        
Es gibt auch sinnvolle Depressionen

 Die Depression präsentiert sich in sehr unterschiedlichen Formen und kann ganz verschiedene Ursachen haben. Einige Formen können auch sinnvoll und hilfreich für die Betroffenen sein, erläutert Randolph M. Nesse, Professor für Psychiatrie an der Universität von Michigan in den USA.

 Die Zeitschrift «Psychologie heute» zitierte ihn kürzlich mit der These, dass depressive Gefühle eine Reaktion sein können auf gefährliche und unerwünschte Situationen. «Depression stellt sicher, dass wir unsere Energie nicht an Dinge verschwenden, die es nicht wert sind». Nesse erläutert das am Beispiel eines Menschen, der in einer äußerst unbefriedigenden Beziehung lebt: Er wird sich dann immer mehr vom Partner zurückziehen, das Interesse am Sexuellen verlieren und den Partner kaum noch ansprechen. Sobald eine derartige Beziehung beendet ist, müsste in vielen Fällen auch die depressive Stimmung verschwinden, meint der amerikanische Psychiater.

 Auch in der Tierwelt sieht er seine Überzeugung bestätigt, dass Depressionssymptome wie fehlende Motivation und Passivität in Situationen nützlich sein können, in denen Handeln wenig ratsam und sogar gefährlich ist: «Wenn viel Schnee liegt und die Temperaturen niedrig sind, dann wird die Futtersuche für das Wild ungeheuer schwierig und aufwendig. Um nicht unnötig Energie zu verschwenden, bleibt es daher still stehen und wartet - auch wenn es hungrig ist».

Bei den deutschen Psychotherapeuten Nossrat Peseschkian und Udo Boessmann finden sich ähnliche Einschätzungen. «Ängste und Depressionen sind Alarmzeichen, die Schlimmeres verhüten sollen.» Sie seien ein Aufbegehren des Körpers und der Seele gegen reale Gefahren, ungelöste Konflikte, untragbare Belastungen, unerfüllte Bedürfnisse und ungenutzte Potenziale, heißt es in ihrem Buch «Angst und Depression im Alltag». «Ängste und seelische Schmerzen vermitteln zwischen Trieben, Lüsten und Wünschen einerseits und den natürlichen und gesellschaftlichen Realitäten, Grenzen und Gesetzen andererseits. Durch sie vollziehen wir die notwendige Anpassung an die Gegebenheiten des Daseins».

 Auch der Publizist Lothar Baier beschreibt in seinem neuen Buch «Keine Zeit!» eine Form verweigerter Anpassung: Der Depressive zieht sich unbewusst von den sich in immer schnellerem Rhythmus verändernden gesellschaftlichen Realitäten zurück. Er fühlt sich von ihnen überfordert. Baier zitiert den Soziologen und Psychologen Götz Eisenberg: Menschen geraten in große Identitätsnot, wenn der Film der äußeren Realität schneller läuft als der Text, den sie dazu sprechen.

 Der Depressive reagiert mit einer Art Verknotung der Zeit: «Zwischen Vergangenheit und Zukunft zieht es nicht mehr durch». Er ist ohne Zukunft und ohne Energie, seine Bewegung ist verlangsamt, seine Sprache zögernd. Der Medizinsoziologe Alain Ehrenberg nennt diesen projektlosen, motivationslosen und kommunikationslosen Menschen «das exakte Gegenteil unserer Sozialisationsnormen». Der Franzose bemerkt dazu aber auch: «Die Depression ist das Geländer des führungslosen Menschen, nicht nur sein Elend. Sie ist die Rückseite der Entfaltung seiner Energie».

 Zu den übermächtigen sozialen und kulturellen Angeboten unserer Gesellschaft gehören auch die «Zeitvernichtungsfelder». Jedem Menschen wird täglich aus solchen Feldern ein Vielfaches mehr als die ihm zur Verfügung stehende Stundenzahl angeboten: Filme und Computer, Musikvideos und Radiosendungen, Gameboys und Werbung - «alles zielt auf sein kurzes Leben», schrieb der von Baier zitierte Schriftsteller Florian Felix Weyh.

 Immer mehr ist die Rede von der Zeit als einem sich verknappenden Gut. Gleichzeitig nehmen jene Felder ständig zu. Für Baier drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass der Eindruck der Zeitknappheit in dem Maße erzeugt wird, in dem Zahl und Ausmaße der angebotenen Zeitvernichtungsfelder zunehmen. «Zeit erscheint dann besonders knapp, wenn man nicht genug davon auf einmal vernichten kann. Jedes neu hinzukommende Fernsehprogramm, jedes neue Magazin, jede neue Website vermehrt die Vernichtungsmöglichkeiten». Die Situationsbeschreibung macht begreiflich, warum manche Menschen unbewusst ausweichen in eine Depression. («Keine Zeit! 18 Versuche über die Beschleunigung», Verlag Antje Kunstmann, München, 224 S., 32 DM, ISBN 3-88897-245-0)       © DPA

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Letzte Aktualisierung      11..12.2010

 

 

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